Tankstelle heißt Wasser kaufen und irgendetwas Essbares. Warum kein Supermarkt? Weil es keinen gibt. Ortschaften gibt es keine. Rauf auf den Highway und los geht es. Zwei Tagesetappen bis zum nächsten Wasser und Übernachten irgendwo dazwischen. Am langen Weg durchfuhren wir den Canyon und bewunderten die Drumheller Hoodoos.
Galerie
Statistik
Mikro-Frühstück
Das Frühstück hatten wir uns anders vorgestellt. Als wir alles fertiggepackt hatten und unsere Roller bereit waren zur nächsten Etappe, gingen wir zur Rezeption um nach dem Frühstücksraum zu fragen. Es duftete schon nach Kaffee. Der freundliche Herr verwies auf eine Ecke im Empfangsraum. Dort waren ein Tisch und drei Sessel. Den Bereich kannten wir ganz gut, saßen wir doch gestern bei der Ankunft dort und tranken Wasser aus dem eisgekühlten Wasserspender. Jetzt am Morgen gab es dort auch eine Kaffeemaschine und einen Mikrowellenherd.
Hä? Das war es. Naja fast. In einem Schrank waren insgesamt sechs Muffins, einen Krug Milch gab es dann noch und eine kleine Auswahl an Cerialien. Ein Scherz! Das Motel bot bestimmt zwanzig Zimmer und wir drei würden in zwei Minuten alles aufessen und hungrig bleiben. So ähnlich war es dann auch. Die Muffins waren schnell weg und Kaffee tranken Frederic und ich, während sich Josef am eisigen Wasser delektierte. Da Milch nicht so gut sein soll bei längeren Ausdauerbelastungen, nahmen wir die Cornflakes trocken und ohne Milch.
Wie bitte?
Josef sagte uns, dass es in dieser Prärie ungefähr 2.000 km so weitergehen würde und die nächste Etappe 250 Kilometer lang sei, eben bis zur nächsten Tankstelle, wo es dann „water and food“ gäbe, „hopefully“. Waaaas? Josef hatte gestern noch groß eingekauft, Frederic, der eh immer viele Flaschen Wasser bei sich hat, bekam von mir drei 0,5-Liter-Flaschen Mineralwasser mit Gas. Und ich hatte insgesamt vielleicht zwei Liter vorrätig. Essen hatte ich auch nicht gerade viel und das Frühstück als Start in den Tag war auch nix. Panik pur. Wir würden also zu einer örtlichen Tankstelle fahren, um Fehlendes zu kaufen.
Hier gab es ja noch eine Tankstelle. Ich kaufte mir Wasser und drei Stück abgepackte, süße Mehlspeisen. Mehr gibt es hier nicht. Wenn wir von „food“ sprechen im Zusammenhang mit Tankstelle, dann ist es das auch schon. Die Regale sind voll mit Knabberzeugs und Naschware.
Wir kommen in die Zeitung!
Wie immer wurden wir auch diesmal wegen unserer Fahrzeuge angesprochen. Jetzt war es, wie sich herausstellte, ein Journalist des lokalen Blattes. Er sah aus wie man sich einen kleinen Sensationsreporter vorstellt. Ende 50, Blouson-Jacke und sofort seinen Notizblock und einen Kuli parat. Er schrieb sich Schlagworte auf während er mit uns redete. Uns allen war klar, dies würde einen kleinen Artikel in diesem Blatt bringen. So war es auch. Wir tauschten uns kartenmäßig aus und er fotografierte uns drei dann auch mit seinem Handy. Den Link zur online-Ausgabe des Artikels würde er Josef mailen. Man darf gespannt sein.
Die Reise ging nun wirklich los und wir verließen Drumheller, jedoch nicht in der für mich erwarteten Weise. Ich ging davon aus, dass wir gleich Höhenmeter erklimmen und den Canyon verlassen, dann oben 245 Kilometer die Ebene entlang bretteln. Nein, wir blieben „unten“ und es wurde immer schöner, da wir das urbane Gebiet verlassen hatten. Eine Greißlerei, die, wie uns das Leuchtschild „open“ deutlich sagte, offen hatte, forderte uns auf stehen zu bleiben und auf Shopping-Tour zu gehen. Ernüchterung auch hier. Neben Knabberzeugs und Naschsachen und ausschließlich zuckerhaltigen Getränken gab es dort Tiefkühlware, also kein wirkliches Essen. An der Kasse gab es einen kleinen Korb mit Bananen. Hier schlugen wir zu. Ich wurde auch brotmäßig fündig und kaufte mir einen Sack mit acht bereits aufgeschnittenen Hamburger-Wecken. Die könnte ich mir die nächsten zwei Tage mit Marmelade und Erdnussbutter beschmieren. Eine Flasche Wasser erstand ich dann auch noch. Nur Zuckerwasser hatten sie also doch nicht.
Mister „Flat Tire“
Durch den Canyon hindurch war es immer wieder sehr schön, zunehmend menschenleer. Ein Mann kam uns mit seinem Buick im Schritttempo entgegen. Auf unserer Höhe blieb er stehen und erklärte uns, er hätte gestern hier einen „flat tire“ gehabt. Wir mögen also acht geben. Derselbe Typ machte später kehrt und überholte uns blöd schauend später, dann kam er uns im Schritttempo abermals entgegen und erklärte uns die Sache mit seinem Patschen gestern und dann drehte er nochmals um und überholte uns wieder. Der örtliche Dorftrottel offenbar…
Hoodoos
Die Gruppe führte ich an und folgte dem Straßenverlauf. Josef rief mir von hinten zu, ich möge nach links abbiegen. Das tat ich. Nun ging es nach oben, allerdings stand dann auch „No Exit“ nach einiger Zeit. Wir waren in einer Sackgasse. Ärgerlich. Nein, war es nicht. Josef hatte uns zu einem Schauplatz geführt, an dem ich definitiv vorbeigefahren wäre. Unverzeihlich wäre das gewesen. Wir waren nun bei den Drumheller Hoodoos.
Von Hoodoos, wie mir jetzt einfiel, erzählte mir das Deutsche Ehepaar am See vor Banff. Offenbar gibt es in Kanada mehrere Hoodoos. Das sind erodierte Steine, die teilweise wie Obelisken aussehen. Wunderbar war das, vor allem eingebunden in diese tolle Gegend hier.
Wir blieben gut 15 Minuten hier und schauten und staunten. Jeder von uns schoss zahlreiche Fotos. Zufällig verirrte sich noch ein Touristenpaar hier her. Ich bat die Dame, sie möge uns zu Dritt fotografieren, was gerne erfolgte.
Ende des Canyons
Dann ging die Reise weiter. Rechter Hand kam eine historische Kohlemine. Dort machten wir auch halt, um die Mine, aber auch die Brücke und den Fluss zu fotografieren. Immer heißer wurde es. Es war so gänzlich anders als in den Rocky Mountains.
Nach ziemlich genau 40 Kilometern kamen wir sozusagen zur „Ausfahrt“ aus dem Canyon. Steil ging es bergauf. Ich war der einzige, der den Anstieg noch treten konnten. Meine Mittreter schoben ihre Roller. Ein Truck mit Anhänger, beladen mit Treibstoff quälte sich im ersten Gang den Anstieg hoch. Er entwickelte eine Wärme, die unglaublich war. Mir kam es vor, als würde ich zehn Sekunden lang bei siebzig Grad gegrillt. Letzte Fotos noch vom Canyon. Dann waren wir auch schon wieder in der endlosen Weite der Prärie.
Es war Weideland hier für Kühe, aber auch Ackerland und quasi ständig gab es ganz, ganz kleine Teiche, naja, eigentlich waren es vielmehr größere Lacken. Sie dienten vornehmlich den Kühen zum Trinken. Kein Wasser als, das man sich in die Fahrradflasche geben sollte.
Wildnis
An einem größeren See kamen wir nun vorbei. Er war tiefblau und eingezäunt. Eine Wassermessstation war dort. Josef meinte, dieses Wasser sei trinkbar. Ob ich mir nicht die Flaschen auffüllen wolle. Aber nein! Ich hatte von der ersten Flasche nicht einmal die Hälfte getrunken. So ging ich nicht zum See um die Flasche vollzufüllen. Keiner von uns tat dies. Dummheit! Wir waren nämlich längst in der Einöde und uns dessen gar nicht so recht bewusst.
Ringsum ein mit dem Lineal gezogener Horizont. Keine Anzeichen von Zivilisation, ausgenommen die Straße auf der wir uns befanden. Ja, und ab und an kam ein Auto vorbei. Hitze. Schwitzen. Trinken. Gut war, dass wir Rückenwind hatten. So trieb es uns mit recht wenig Anstrengung durch recht weit. Uns war klar, dass wir die Nacht nicht nach 125 Kilometern verbringen würden, sondern über die Hälfte heute fahren würden, weit über die Hälfte.
Eine Pause war fällig. Schatten gab es keinen und Sitzgelegenheiten auch nicht. Vor wenigen Tagen noch gab es Betonwände neben der Autobahn, worauf man gemütlich Platz nehmen kann. Die fehlten jetzt. Es gab nicht einmal Stangen, an die man die Roller anlehnen hätte können. Es gab nur die endlose Ebene und das Hinhocken wo man gerade war. Gut war das nicht, vor allem wegen der Sonne, der wir sowieso den ganzen Tag ausgesetzt waren.
Immer wieder kamen dichte Baumgruppen und in diesen versteckte sich dann ein Haus. So leben die Bauern hier. Etwa alle zehn Kilometer konnte man so etwas antreffen. Man sah die Baumgruppe schon aus der Ferne und wusste, wann in etwa die nächste Pause sein könnte. Bei der nächsten Baumgruppe machten wir also Station, lehnten unsere Roller an, packten Essen aus und pflegten ein spätes Mittagessen. Dazu wurde schlückchenweise Wasser getrunken. Vor allem aber legten wir uns einfach hin, einfach am Asphalt, klarerweise im Schatten. Am Anwesen war Leben. Wir suchten keinen Anschluss. Wir suchten und fand nur Schatten. Als wir so da lagen und uns der Entspannung hingaben, spazierte ein alter, ein sehr alter, ein sehr, sehr alter Hund um uns und zwischen uns durch.
Er war sehr lethargisch und zu meiner Überraschung verstand er Deutsch, Tschechisch und Französisch. Ich nehme an, Englisch verstand er auch ganz gut. Ich nehme an, dass der zottig schwarze alte Herr auch taub gewesen sein mochte. Er zog wieder ab und wir rasteten weiter.
Die Reise ging weiter. Unverändert Hitze, Ebene, Monotonie. Zur Monotonie zählte glücklicherweise auch der Rückenwind. Der trug uns zur nächsten Pause, die nach etwa 140 km war. Wieder lagen wir im Schatten der Bäume eines Anwesens und aßen und tranken ein wenig. Ich hatte einen besonderes guten Tag heute und wollte unbedingt weiter fahren. Meine Kompagnons sahen dieses Anwesen aber schon als die heutige Endstation. Der nächste Ort wäre Oyen. Diesen hätten wir in 40 oder 42 Kilometern erreicht. Diesen Ort strebte ich eigentlich an, denn den Rückenwind und das gute Wetter müsse man nützen. Wer weiß, was sonst noch kommt. Es war zirka 17:30.
Cowboy Fred
Meine Spezis entschieden sich fürs Hierbleiben. Frederic ging in das Haus fragen, ob wir denn auf der gemähten Wiese unsere Zelte aufschlagen können. Er kam mit einem richtigen Cowboy aus dem Haus. Jeanshose, kariertes, leicht schmuddeliges Hemd, weißer Cowboy-Hut. Er mag etwa 60 Jahre alt gewesen sein und lebte ganz alleine hier, dafür hatte er über zehn Autos hier stehen, alle mit Nummerntafel. Natürlich hatte er nichts dagegen und er hatte sogar einen besseren Platz für uns, nämlich im Schatten einer sehr großen Garage. Er stellte sogar seine Fahrzeuge um, damit wir den wirklich besten Platz hätten.
Sein Name war Fred. Das fand Frederic sehr witzig und so blödelte er gleich mit ihm. Fred war sehr nett und bemüht und gerne füllte er unsere Flaschen mit kostbarem Trinkwasser an. Ins Haus gingen wir nie. Das Wasser hätten wir uns schon selbst genommen. So dauerte es immer eine ganze Weile bis er mit zwei vollen Flaschen wieder zurück kam.
Indessen bauten wir sehr schnell unsere Zelte auf und verstauten alles darin. Der Hammer hier waren die Moskitos. Die waren echt lästig. Ich fürchtete mich schon vor dem nächtlichen Tippen am Laptop, wo die Viecher durch das Licht angezogen würden. Wir verwendeten erstmals unseren Insektenschutz. Vielleicht wirkte es. Vielleicht wären ohne des Sprays viel mehr Stechmücken hier gewesen. Betreffend des Tippens waren meine Sorgen umsonst, denn mich überfiel um 21:30 eine dermaßen große Müdigkeit, dass ich einschlafen musste. Da war es draußen noch recht hell und Moskitoprobleme hatte ich die ganze Nacht nicht.
Zum Abschluss muss ich noch zwei Themen anschneiden, nämlich Freds Trinkwasser und die Notwendigkeit, immer einen Fotoapparat dabei zu haben.
Trinkwasserbeschaffung
Als die Zelte standen und jeder in seinem Haus beschäftigt war, kam Fred vorbei und sagte, er müsse nur kurz weg Trinkwasser holen. Er brummte mit einem seiner vielen Pick Ups weg. Dieser eine hatte einen Tausend-Liter-Tank an der Ladefläche verbaut. Wahnsinn! Da muss jeder hier sehr viele Kilometer wegen des Wassers fahren! Ein richtig schlechtes Gewissen hatte ich jetzt, da wir so viel von seinem Wasser genommen hatten. Seine Ankunft erlebte ich nicht mehr, da mir das Einschlafen dazwischen kam. Fred musste also mehr als anderthalb Stunden weg gewesen sein. Echt arg! Wohl dauerte das Wasserholen zuvor immer so lange, da es gar keine Wasserhähne gibt. Josef sagte mir, dass das in dieser Gegend ganz normal sei. Nur ganz wenige haben einen eigenen Brunnen.
Man muss den Fotoapparat immer parat haben
In Freds Abwesenheit musste ich meine Notdurft verrichten. Sein Haus hatte er uns nie angeboten, also musste ich auf seinem Grundstück ein feines Platzerl finden. Auch unangenehm irgendwie. Das Grundstück war aber endlos weit und ab irgendwo war dann die Wiese nicht gemäht. Ich stieg über einen sehr tiefen Stacheldrahtzaun. Die Moskitos machten sich sehr über meine Beine her. Platzerl gefunden.
Gerade als ich mich erleichtern wollte, vernahm ich aus nächster Nähe Schritte. Ein Knistern im hohen Gras. War es Fred? Gab es einen Nachbarn? War es einer aus unserem Team? Oder war es gar der Dorftrottel von Drumheller? Unangenehm in jedem Fall. Das Geheimnis lüftete sich. Es war ein Rehkitz, ein richtiges Bambi mit weißen Flecken. Und es stand fünf Meter vor mir und schaute mich frech an, gut dreißig Sekunden beobachtete es mich mit seinen rehbraunen Augen. Rehbraun, was sonst.
Nur fünf Meter, ganze dreißig Sekunden! Und ich hatte keinen Fotoapparat dabei. Unverzeihlich! Ich werde fortan nur noch mit Fotoapparat anzutreffen sein. Das Bambi war dann doch wieder fort, hüpfend durch das hohe Gras. War es zufällig hier? Oder war es Freds Haustier? Ich kann mir gut vorstellen, dass Fred sich viele Autos und auch viele Tiere hält, hingegen es keine Frau bei ihm aushält. Apropos Autos und Fotografieren. Ich lichtete dann nach der Rehkitzbegegnung noch einen Teil seiner Autos ab. Wie es der Zufall so will, gab es nach Bambi gleich noch eine Walt-Disney-Begegnung. In seinem Fuhrpark war nämlich ein VW Käfer, hergerichtet wie Herbie im gleichnamigen Film.
So. Das war es. Es folgte unsere erste Gratis-Nacht.
Atemberaubend! Das Abenteuer hat begonnen und trotz der Sicherheit der Gruppe ganz auf dich zurückgeworfen. Das innere Erleben umgekehrt zur äusseren Monotonie. Atemberaubend!
Hey Guido, du genießt seit einigen Tagen die Landschaft! Ist dir schon aufgefallen, dass Du über Gerüche und andere Empfindungen schreibst. :o) Das freut mich und wenn ich ehrlich bin, hätte ich es mir auch nicht anders vorstellen können. ;o)
Weiterhin alles Gute und Bussi. :o)
Liebe Martina, ich hatte es mir auch erwartet, da ich Du mir davon geschrieben hattest. Es trifft mehr oder weniger alles so ein wie es bei Dir eingetroffen ist. Was neu ist bei mir ist die Dauer der Reise. Heute war der 17. Tag ohne Pause. Keine nennenswerten Beschwerden oder Veränderungen, aber lies selbst. Ich beeile mich mit dem Schreiben…
Alles Liebe, Bussi Guido