Gestern hatten wir die 4.000km-Marke überschritten und heute feierten wir das Ereignis abends mit Rotwein. Irgendwie sind wir nicht zu bremsen. Mich bremste morgens, dass ich meine mir wertvolle Crossing-Canada-Jacke offenbar gestern an der Tankstelle vergessen hatte. Dies bremste aber letztlich nicht. Auch Regen und Gegenwind konnten uns nichts anhaben. Erschrekend: langsam zeigt sich hier der Herbst.
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Ein materieller Verlust
Der Tag wendete sich von gut auf schlecht als ich beim Zusammenpacken, wieder einmal der Langsamste, meine neongelbe Crossing-Canada-Jacke nicht fand. Niemand konnte sie irrtümlich eingesteckt haben, da alle ihre Taschen immer knallvoll haben. Meiner Tasche fehlte etwas. Im Zimmer war die Jacke definitiv nicht. Gemeinsam überlegten wir. Ich musste sie wohl bei der letzten Tankstelle vergessen haben. Zwanzig Kilometer würde ich sicher nicht zurückfahren. Anrufen und nach Quebec schicken lassen? Warum sollen die das auf ihre Kosten machen?
So musste ich ohne Jacke weiterreisen. Blöd war das zunächst einmal aus thermischen Gründen, denn es war feuchtkalt. Mit der Regenjacke über das Kurzarmtrikot ging es aber gut. Störend war, dass die verlustige Jacke eine ganz persönliche Heldenjacke ist. Es ist DIE Crossing-Canada-Jacke mit meinem Namen am Kragen und der Österreichischen Fahne nebenan. Tja, es ist ja nur Material, wie Frederic meinte. Ich musste es von der positiven Seite sehen. Eine Jacke hatte ich noch. Also müsse ich nicht frieren. Auf diese Art verliere ich Gewicht und gewinne Volumen in meinen Taschen. So muss man das sehen. Zurück in Wien werde ich sowieso eine Nachbestellung aufgeben. Das Trikot und die Hose sind von der Sonne stark ausgeblichen und nicht mehr schön. Die Stücke will ich neu haben. Dann bestelle ich die Jacke auch gleich mit.
Erste Pause
Erster Stopp war nach 20 Kilometern auf einen Kaffee, für mich allerdings gab es auch einen Toast mit Würstel und Josef genehmigte sich eine interessante Mischung aus Eis, Schlagobers und Schokokuchen. In diesem so genannten Restaurant waren wir ein großes Thema. Die beiden Damen dort interessierten sich sehr für unsere Roller und unser Projekt, aber auch die Gäste, Truck-Fahrer und normale Pickup-Fahrer schauten sich alles genau an.
Regen, Gegenwind, Steigungen und eine Ballonfahrt
Danach ging es dann so richtig los. Zum erstenmal hatten wir die unglückliche Kombination aus Regen und Gegenwind und Steigung. Bisher hatten wir immer nur zwei Zutaten gleichzeitig. Die Landschaft war, wie gestern schon, grau und langweilig, der Verkehr war stark und der uns zustehende Streifen am Highway genau 40 Zentimeter breit. Einen Ort später drängte überraschend Josef auf eine Pause. Ich denke, er hatte heute generell einen schwachen Tag. Wir gingen in Massey in einen Supermarkt und kauften alles für einen Tag ein, danach gingen wir unter ein Dach, das Tische und Bänke bot. Hier machten wir Picknick. Danach ging es weiter. Josef gab dem Tag Farbe, indem er sich Luftballons schnappte, die herrenlos in der Gegend lagen und befestigte sie am Tretroller. So fuhr er eine Weile durch Regen und Nebel. Dann löste sich einer nach dem anderen und er befreite sich endgültig von ihnen.
Der fassungslose Steve
Eigentlich könnte man sagen, an diesem grauen Tag war das schon der Höhepunkt, wäre da nicht doch noch schnell etwas Bemerkenswertes passiert. Wir kämpften da gerade gegen den Wind, glücklicherweise jetzt wieder und für den Rest des Tages regenfrei, als da ein silbergrauer Wagen stand, ein barfüßiger Mann ausgestiegen war und uns schon von weitem zurief: „What the fuck? What the fuck? What the fuck?“
Als wir bei ihm waren, mussten wir unbedingt stehen bleiben. Er war einer der mittlerweile doch schon vielen Leute, die uns überholt hatten, überrascht waren, stehen blieben um uns zuzurufen und uns zu fotografieren. Er fotografierte nicht. Er war hingegen begeistert und entgeistert wie kein anderer. Fassungslos sah er sich unsere Roller an, konnte die Crossing Canada Sache nicht glauben, glaubte sie doch. Ob wir etwas brauchen, wollte er wissen, und riss die Heckklappe seines Wagens auf. Eine Fahrradpumpe reichte er uns. Haben wir! Ob wir Wasser wollen. Er habe alles. Nein, danke. Ob wir etwas zu essen wollen, Obst oder so, ob wir Lichter benötigen. Er habe alles. Wir lehnten dankend ab. Ihm war es ein ganz großes Anliegen, uns etwas zu geben. So schenkte er jedem von uns eine Dose mit Pfirsichstücken. Das war sehr nett und wir alle lieben diese Dosenpfirsiche.
Hinter uns kämen noch zwölf Radfahrer, die auch Kanada queren, ließ er uns wissen. Was er denn für uns tun könne, wollte er wissen, und wieder „Fuck“ und „What the fuck?“. Ja, er könne etwas für uns machen, nämlich ein Foto mit meiner Kamera, wo wir im Fahren alle drei drauf seien. Wirklich? Nur ein Foto? So wenig? Ja.
Er fuhr nicht mit seinem Auto voraus, er lief barfuß 100 Meter weiter. Wir setzten uns in Bewegung, nebeneinander, doch leider nicht schön in Formation. Ich dachte mir eher, dass wir ganz natürlich hintereinander fahren. Naja, immerhin drei Bilder in der Kamera, wo wir zu dritt fahren. Der Mann freute sich, uns nun doch geholfen haben. Frederic fragte nach seinem Namen. Steve. Zur Verabschiedung schüttelte er jedem die Hand als wären wir unnahbare Stars und er uns endlich ganz nahe. Man muss sich Steve als ergrauten, etwa 50-jährigen, sehr sportlichen Mann vorstellen, einer, der mit einem Jahr Training wahrscheinlich mitfahren könnte. Er gebärdete sich aber wie einer, der nie auch nur im Ansatz halbwegs so gut drauf sein könnte.
Ja, das war Steve. Generell ist ja zu sagen, dass jedes Jahr recht viele Leute mit dem Rad Kanada durchqueren, mehrheitlich von West nach Ost, sehr oft von Vancouver nach Quebec-City. Die Leute im Lande lieben die Canada-Crosser regelrecht. Man bewundert und beneidet sie und gerne hilft man ihnen, beschenkt sie auch. Wir wissen darüber viel zu wenig, aber es gibt sogar eine Webseite, wo sich Leute anmelden können, wenn sie Canada-Crossern gratis Quartier zur Verfügung stellen wollen. Die Canada-Crosser werden irgendwie behandelt wie Wandermönche. Ihnen wünscht man nur Gutes und manchmal schenkt man ihnen etwas, man freut sich, sie anzutreffen. Und unter all den so genannten „normalen“ Radlern gibt es jetzt eben diese drei Tretrollerfahrer. Immer wieder werden wir daher angesprochen, aufgealten, fotografiert und immer wird uns eine schöne und sichere Weiterfahrt gewünscht. Von all diesen Fans ist Steve aber der größte!
Mittagspause
Im Örtchen Espanola machten wir dann die richtige Mittagspause und kehrten in ein diesmal echtes Restaurant ein, das „Dragonfly“ heißt. Wasser tranken wir aus Weingläsern, das Besteck war schwer und lag gut in der Hand, die Bedienung war aufmerksamst und nett. Ich aß wieder einmal einen Hamburger. Das war eine richtige Portion. Das Weckerl war angetoastet und hatte eine Libelle (Dragonfly) eingebrannt. Überall im Restaurant waren Libellen in unterschiedlichen Formen. Recht lange blieben wir hier, auch noch mit Nachschenkkaffee. Preislich war es auch nicht viel mehr als Fast Food. Die Wände waren dunkelrot, viel schweres Holz gab es und im Hintergrund lief Jamie Cullum. Das war schon gut.
Weiter ging es. Vis a vis verkauften Amische hausgemachte Mehlspeisen und Obst. Ihr Gebiet mag gut 100 km lang sein. Es regnete zwar nicht mehr, doch gab es immer noch starken Gegenwind, der sehr ermüdend war. Ich blieb den Rest des Tages an letzter Stelle und hatte so den besten Windschatten. Was auffallend war heute: es herbstelt. Einige Bodenpflanzen sind gelb, orange, beige. So richtig herbstlich. Auch färben sich sehr vereinzelt Bäume. Irrsinn eigentlich. Da verlasse ich Anfang Sommer Wien und komme im Herbst zurück. Ja, um den 15. August erkennt man auch bei uns den einsetzenden Herbst.
Rotweinkauf
Es kam ein Shop des Weges mit dem sympatischen Namen „Beer, Wine, Liqueur“. Man kann ja Alkohol nicht einfach so kaufen. Im Supermarkt bekommt man mit Glück alkoholfreies Bier in 24er-Packungen. Alkohol darf man nicht in der Öffentichkeit konsumieren, nicht einmal als Mitfahrer in einem Auto darf man während der Fahrt trinken. Aus diesem Shop kamen Leute, die die Flaschen in neutralem Papier eingewickelt hatten. So komisch!
Wir waren entschlossen, hier Kunden zu werden. Wir brauchten Rotwein zum Begießen der gestrigen 4.000km-Marke. Frederic fand einen Sauvignon um elf Dollar. Er bezahlte gerne. Mein Handy bimmelte. Schön, hier gab es WLAN. So blieben wir gleich im Bereich des Shops in einem nichtssagenden Ort und machten Jausenpause mit Online-Untermalung. Eine Motorradgang kam, etwa zehn Harleys und eine KTM. Die Burschen kamen mit uns ins Reden und einer probierte Frederics Roller. Er konnte danach so überhaupt glauben was wir da zuwege bringen. Der KTM-Fahrer kam zu mir als er hörte, ich komme aus Österreich. Er lobte seine 1150er-KTM über alle Maßen. Vor der Abfahrt hirschte ich noch schnell in den Shop und kaufte um vier Dollar einen Flaschenöffner. Den hatten wir nämlich alle nicht.
Früheres Ende
Weiter ging es und zwar nicht bis zur angepeilten 130er-Marke. Es war 18 Uhr und wir hatten 117 km drauf. Ermattet waren wir von sehr schlechten und verdammt anstrengenden Straßen. Über zehn Kilometer Baustelle gab es, leicht bergauf, mit Gegenwind und engen Straßen. Die Autos zogen knapp an uns vorbei und rechts gab es nur Schotter.
Wir brauchten möglichst rasch ein Motel, Hotel oder wenigstens einen Campingplatz. Nichts deutete darauf hin und nach Sudbury wären es noch knapp 60 Kilometer. Neben dem Highway war eine kleine Siedlung. Josef fragte einen Mann, ob bald ein Motel käme oder ein Campingplatz. Nein, aber in dieser Siedlung wäre einer. Er beschrieb den Weg und meinte, mit dem Rad wären es sieben Minuten. Typisch. Keine Kilometerangaben, immer nur Zeit.
Wildcampen und Abfeiern
Wir folgten seiner Beschreibung. Alles sah so anders aus, also fragten wir einen Mann, der auf seiner Veranda saß und dessen kleiner Hund wie verrückt kläffte. Dieser alte Mann gab uns eine wieder andere Beschreibung. Um es kurz zu machen: wir fanden keinen Campingplatz, drangen jedoch in immer urigere Gegenden und folgten einem Kiesweg, der uns vorbei an einem Wasserkraftwerk führte. Schließlich beschlossen wir oberhalb des Kraftwerks zu bleiben, direkt am Wasser.
Dieser Platz war zum Zelten besser als die meisten Campingplätze. Es gab gute Erde und nur sehr wenig Steine. Mich wurmte, dass ich kein WLAN hatte zum Hochladen meines heutigen Radiobeitrags. Sonst aber fand ich es hier ganz okay. Gratis war es obendrein. Moskitos ließen sich nicht blicken. Es war warm und zwischenzeitlich richtig trocken, also auch am Boden. Wir schlugen daher unsere Zelte auf, räumten sie ein und öffneten den Wein. Die Flasche hatte einen Drehverschluss. Ich hätte also keinen Öffner kaufen müssen. Wer konnte damit rechnen?
Da Frederic niemals aus der Flasche trinken würde und wir keine Gläser oder Becher hatten, improvisierten wir und tranken aus zerschnittenen Kakaobechern und einer leeren Dose von Steven. Prost!! Der Wein schmeckte leider nicht gut, doch war es schön, diesen tollen Zwischenerfolg zu feiern. Der asketische Josef trank seine mit Wein viertelgefüllte Pfirsichdose tatsächlich aus. Danach stopfte sich jeder noch sein Essen rein, um danach alles Essen und auch das Müllsackerl hoch in die Bäume zu hängen. Ja, hier gibt es noch Schwarbären. Deshalb nahm sich auch noch ein jeder seinen Pfefferspray mit ins Zelt.
Ich machte noch meinen Radiobeitrag, um ihn bei erster Gelegenheit morgen hochzuladen. Dann ging ich ziemlich zufrieden in mein Zelt. Es läuft alles immer routinierter ab. Die große Tasche ließ ich aus Platzgründen draußen, mit den beiden Seitentaschen machte ich mir eine gemütliche Lehne und so schrieb ich noch ein wenig am Laptop und optimierte die Fotos für’s Web. Sehr schnell übermannte mich große Müdigkeit. Der Gegenwind war kräfteraubend. So drehte ich Licht und Laptop ab, stellte mir den Wecker auf 5:25 und richtete es mir bestmöglich ein. Meine Matte ist ja aufgrund eines Defekts fast unbrauchbar. So legte ich die wenig polsternde Matte unten auf, darauf legte ich den Schlafsack und auf dem Schlafsack lag ich dann mit meinem dünnen Innensack. So ließ es sich überraschend gut und gemütlich schlafen. Offenbar wird man mit den Tagen immer genügsamer.
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